Mittwoch, 27. Juli 2011

peoplewatching #11: die verlorenen Kinder vom Bahnhof Niemandsland.

Als würde ein Löwe seinen Herrschaftsanspruch über das Rudel geltend machen wollen. Nicht nur durch lautes Gebrüll. Auch Scheiße und Urin spielen, den Gerüchen der Unterführung nach zu urteilen, eine gewichtige Rolle.
All das, Geruch und Gebrüll, dringt nur leider nicht recht durch bis zum Rudel. Dichter Nebel umhüllt die Sippe, sie nehmen sein Gebaren nur gedämpft war. Des Löwen Schauspiel berührt sie nur entfernt.


So zeigt sich der Löwe nicht mehr stolz und majestätisch in seiner Welt. Arg schütter ist seine Mähne, stumpf und glanzlos. Torkelnd schon sein Stand, mit Makeln übersät sein Fell.
Einen Herrschaftsanspruch - den hat er hier nicht. Aber wer hat den schon. 
Und er hat ihn nicht mal mehr innerhalb seines eigenen Dunstkreises.


Sein Sexualtrieb ist nach wie vor unermesslich. Er steigt die Weiber an, langt gerne zu. Es bleibt zu befürchten, dass, bei allem Verlangen, seiner Libido jedoch schon vor langer Zeit der Garaus gemacht wurde.


Immer wieder stößt sein Kopf ruckartig nach vorn. Von weitem könnte man glatt annehmen, er versuche die Zähne zu fletschen. Er prescht nach vorn, spuckt unverständliche Fetzen seinem Gegenüber ins Gesicht. 
Doch durch seinen unsicheren Stand verkommt die Gebärde zur Clownerie. 
Seine fahlen Augen, die nach jeder dieser ruckartigen Ansagen das Weite suchen in diesem wackligen Körper, quälen das Ganze in die Tragödie.


Und das Rudel? Setzt die Flaschen stoisch weiter an den Hals. Schüttet klares, zimmerwarmes Gewässer als Glückstropfen in die Bierflaschen.


Und dem Löwen, dem bleiben ja noch die Frauen.
Ganz gleich ob zwanzig oder sechzig Jahre alt. Man würde wohl einer jeden Unrecht tun, würde man sie schätzen wollen.Und darum geht es auch nicht. Es geht um Öffnungen. Vielleicht geht es auch um Wärme. Oder ums Vergessen. Oder ums nicht Alleinsein. Und immer geht es doch um Liebe. Aber wer weiß das schon.


Der Löwe tanztorkelt mit einer langhaarigen Brünetten. Untersetzte Figur, graues Gewand, Cap auf dem Kopf, den Zopf durch die Schlaufe gezogen. 
Reißt ihr dabei die Gürteltasche von den Hüften.
Triumphierend schließt er den Clip wieder, wie eine Trophäe hält er den geschlossen Gürtel über sein Haupt. Hören kann ich ihn nicht mehr, wahrscheinlich brüllt er. Seht her, ich habe es repariert.


Der Löwe greift der Brünetten herzhaft von hinten zwischen die Arschbacken und knetet in der goldenen Mitte. Hat er sich ja auch verdient.


Was fehlt? Richtig, die Aufmerksamkeit für sein Gemächt. Er schüttelt ordentlich. Zeigt allen, wer hier die beste Rudelnudel in der Jogginghose sein Eigen nennt.
Gut gebrüllt, Löwe.


Das Rudel? Was soll man sagen. Lethargie.
Schon morgen hat vielleicht ein anderer das Glück. Darf der vermeintliche Chef im Ring sein, während der schüttere König seine Wunden leckt, eine Million Schlangen jagt oder noch viel schlimmer: sich den eigentlichen Fragen gegenüber sieht, die im Kopf auf die andere Seite des Dunstes gelangen und den Weg an die Oberfläche finden.


Wenn ich früher in Schockstarre verfiel, sollte ich morgens um 10 Uhr  auf der Straße jemanden mit einem Bier in der Hand gesehen haben, so weiß ich heute eher: die Uhrzeit spielt keine Rolle mehr.
Im Winter gibt es Berentzen Hüttentraum mit Apfel-Zimt Aroma, im Sommer Cooler mit Melonen- oder Caipi-Geschmack. Wenn das Geld dafür reicht. 
Ob der Körper die nötige Flüssigkeit von alldem absorbieren kann?


Ich weiß nicht, ob es schlimmer ist als früher, oder ob ich nur genauer hingucke.


Allday Reality TV. Nur reeller. Authentischer. Und auch nachdem die Bahn losfährt verfügbar. Genauso wie gestern. Und genauso wie morgen.

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