Dienstag, 27. September 2011

flöhchen popöchen.





Wir waren auf dem Flohmarkt. Zum Verkaufen. Mal abgesehen von zu Kinderzeiten dargebotenen Puppenköpfen und Hörspielkassetten auf der Straße vor dem Elternhaus, war das das erste Mal. Und es hat Spaß gemacht!


Auf jeden Fall gab es einige Anfängerfehler. Haben uns ein bisschen einschüchtern lassen von den anfänglichen nervtötenden Rabotti-Muttis a lá "Das bekommt man hier aber schon überall für 50 Cent!!!" (stimmt nicht bei den guten schönen qualitativ hochwertigen, nahezu ungetragenen Dingen). Und penetranten Preisdrückern "Hier guckt aber ein Faden raus!" - "Ich weiß, deswegen kostet es ja auch nur noch 1 Euro...". Und beleidigten Leberwürsten, die nicht mal das Handeln versuchen - denn es war fast überall ein Handlungspuffer eingerechnet - und nach der Preisanfrage stumm von dannen schreiten.
Außerdem haben wir unser beliebtestes Stück kurz vor Ende verkauft. Wir hätten den schrägen quietschbunten Häkelmantel vielleicht doch noch als Eyecatcher behalten sollen...


Anfangs waren wir schon etwas erschreckt, bei was für Spottpreisen wir ehemals geliebte Stücke verschleudern mussten. Mal nimmt man dir einen Schal für horrende 2 Euro ab, dann wieder wollen sie für eine Bluse nur einen geben. Aber in der Summe läppert es sich dann doch und wenn man bei einigen Sachen hartnäckig bleibt, wird das wohl trotzdem in Ordnung sein.


Es macht dann auch tatsächlich Freude, nicht nur Sachen in die Altkleidersammlung zu geben, sondern sehen zu können, bei wem der tolle Pullover, den man selbst nie anhatte, schließlich landet und wenn der ihr dann auch noch großartig steht. Und wenn beim Kassensturz auch noch was rumkommt und es ein paar nette Gespräche und Peoplewatching inklusive gibt, ist das großartig!


Wir sind im Fieber, gehen in Kürze direkt nochmal und das Ganze könnte sich zu einem handfesten Hobby entwickeln. Der Hut war Beute.


Montag, 19. September 2011

10407




































Tatsächlich fing mein Herz ein bisschen an zu klopfen, als ich den langen Gang der Umkleiden abschritt, schließlich um die Ecke bog und in der Halle stand. Es war tatsächlich dieselbe Wettkampfstätte, an der ich mit 11 Jahren meinen ersten überregionalen Wettkampf turnte und ich gleichzeitig zum ersten Mal überhaupt in Berlin war. Völlig unberührt von irgendwelchem Hype und ach so crazy people fand ich die Stadt damals schon wunderbar. 
Als am Freitag der Zug einfuhr, war genau das Gefühl da, das immer einkehrt, wenn ich dort bin. Einfach gut. Das traut man sich heute kaum noch zu sagen, aber es ist einfach so. Fuckin' Berlin fühlt sich einfach immer wieder gut für mich an.
Da war es erst recht schade, dass es nur ein Kurztrip in die Sporthalle war und es Zeit für Fotos und Durchatmen und Gucken nur zwischen Bus und Bahn gab.
Und trotzdem war es einfach gut.

Dienstag, 13. September 2011

Mottenblues







So lange ist sie jetzt schon alleine, dass ihr beim bloßen Anblick gebräunter, gepflegter, sehniger und kräftiger Männerhände ein Kloß im Hals sitzt. Und Babyraupen vom Magen in Richtung Herz marschieren lässt, so dass der gezerrte und verzehrte Muskel wie wild zu pumpen anfängt.
Das bereitet Sorgen. 


Der Mann zur Hand spricht ohne Artikel und Pronomen.
Die Sorgen sind offenbar berechtigt.

Montag, 5. September 2011

peoplewatching#13: sonntagmorgens.

Sie saß auf der einzigen Bank am Bahnsteig. Hatte Wadenmuskeln wie ein Radfahrer und Haare wie Reinhold Messner. In mir machte sich Unruhe breit, ich mag meine Ruhe haben. 
Besonders sonntagmorgens. Schlimm genug, dass ich überhaupt zu solch einer Unzeit am Sonntag unterwegs sein muss. Wenn dann auch noch andere Menschen unterwegs sind. Ätzend. 
Und dann sollte ich auch noch stehend auf den Zug warten? Ich schluckte meinen Ärger runter, ließ einen Platz zu meiner Vorgängerin frei (sie saß natürlich nicht am Rand der Bank, sondern in der Mitte. Wer macht denn sowas?!) und setzte mich. Sie blickte mich an und bohrte sich mit ihren Augen in mein Gewissen. Jedenfalls glaubte ich das zu spüren. Vielleicht mag sie auch, gerade sonntagmorgens, ihre Ruhe haben. Ich glaube auch, sie war ziemlich erbost. Wie konnte ich es wagen. Naja, immerhin war die Bank für vier Personen, da werde ich mich ja wohl dazu setzen dürfen. Eine Zeit lang beobachtete Reinhold Messner mit den Radfahrerwaden und Brüsten die Situation. Dann stand sie auf und entfernte sich. Nicht ohne jeden Meter Halt zu machen und ihr Gewicht jeweils circa zehn Mal von dem rechten auf das linke Bein zu verlagern. Seitwärts wackelte sie sich hin und her. Rechts links. Rechts links. Rechts links. Bestimmt Zehnmal. Was geht? Komische Menschen sind sonntagmorgens unterwegs.
Sie war weg, ich widmete mich meinem Erdnussbutter-Kürbisbrot und den Kopfhörern in meinen Ohren. Elvis und Tori Amos. Und ein bisschen moderne Rockmusik. Kamen da raus, meine ich.
Ich beobachtete wie vom Bahnsteig gegenüber ein Herr mit Jutebeutel, hier sagen wir Leinenbeutel – oder Büdel – die Beine in die Hand nahm und offenbar auf unseren Bahnsteig herübersprintete. Was ist denn los heute früh?
Er stellte sich zu mir neben die Bank. Unangenehm nah. Ich sah mir an was ich sehen konnte, ohne den Blick dabei so hoch zu setzen, dass ich ihm in die Augen sehen müsste. Er stand nämlich in einer Art mir zugewandt, dass ich fürchtete, er könne mich ansprechen. Und das am Sonntagmorgen...neee. Merkwürdig sah der Sprinter aus. Er trug schwarze Schnürschuhe (das war zugegebenermaßen noch nicht merkwürdig) und stand in einer 1A ballettösen Grundposition, trug ferner eine ausgestellte Samtcordhose in Popelgrün ohne Gürtel (schon komischer), den erwähnten Jutebeutel; stark beladen, ein weißes Poloshirt, eine Erich-Honecker Brille und Gerd-Netzer-Frise. Seine Haut zierten diverse Flechten. Das war ein bisschen eklig. In Anbetracht der Tatsache, dass er so nah neben mir und auch noch mir zugewandt stand, sogar sehr eklig. Wenn er sich jetzt kratzte, würden bestimmt Hautschuppen auf mich fallen. Ich weiß, dass es gemein ist, sowas zu denken. Schließlich kann er wahrscheinlich nichts dafür, dass er so eine Haut – Dysfunktion hat. Es tat mir auch sofort leid. Ich rutschte weiter nach links.
Ich glaube er wollte mich ansprechen. Ich vertiefte mich in mein Buch. Dann nahm er eine Flasche Frosch-WC-Reiniger aus dem Büdel und nahm ein paar tiefe Schlucke. WTF? Okay, die Aufkleber waren ab, aber es war definitiv eine Frosch-WC-Reinigerflasche! Na gut, vielleicht will er aber auch einfach nicht zuviel Müll produzieren. Wie sich noch herausstellen sollte, kam er nämlich aus der Schweiz, vielleicht haben die dort ja kein Pfandsystem. Und ein anderes Modeverständnis.
Nun kam ich allerdings nicht mehr umzu meinen Blick derart zu erheben, dass ich ihm ins Gesicht blickte. Vorher schielte ich nur hoch, sonst hätte ich ja auch gar nicht seine Frisur und Brille beobachten können. Aber der WC-Reiniger gab mir den Rest und ich vergaß alle Diskretion.
So kam es, dass er mich ansprach. Ob er denn hier richtig sei, auf dem Bahnsteig in Richtung Wunderland?
Naja, okay, das fragte er nicht. Leider. Aber er fragte schon, ob das der richtige Bahnsteig zu seinem Ziel sei. Denn, und jetzt kommt der Knüller, er käme aus der Schweiz, das stellte sich heraus und er müsse sich hier immer erstmal umorganisieren. Denn, Knüller: in der Schweiz hätten sie ja Linksverkehr und dann müsse er sich hier immer erstmal umorganisieren.
Ich dachte danach tatsächlich den ganzen Tag nach, aber nein. Die Schweiz hat keinen Linksverkehr. Aber ihre Bewohner haben einen sehr ausgeprägten Dialekt. Mein, mir sehr nah zugewandter Zeitreisender hier sprach allerdings lupenrein Neuhochdeutsches Hochdeutsch.
Komische Leute sind sonntagmorgens unterwegs. Ich bejahte seine Frage nach der Richtigkeit des Bahnsteigs, fragte mich, ob es nicht doch vielleicht nach Wunderland gehen könnte und widmete mich konzentriert dem hartgekochten Wunderland zwischen meinen Buchdeckeln.
Der Zug kam. Verspätet. Ich suchte mir einen Platz und rutschte ganz weit an die Wand. Neben mir kann auf einem ein-Personen-Sitz immer noch jemand Platz nehmen. Nicht weil ich so verschwindend gering wäre, sondern weil ich das immer so mache. Mit so viel Abstand Menschen bitte meine Privatsphäre einhalten sollen, mit so wenig Abstand halte ich gerne Abstand zu Materie. Im Bett quetsche ich mich eng an die Wand, am besten unterstützt von tausenden Kissen überall und auf Stühlen rutsche ich immer eng an eine Lehne.
Ich schaute aus dem Fenster und dachte angestrengt über die Komischheiten der Menschen nach. Vor allen Dingen sonntagmorgens. Vielleicht fallen sie in der Sensibilität des Wochenendes aber auch nur mehr auf. Vielleicht verhält es sich aber auch so wie das Ende der Welt zum Hardboiled Wonderland. Denn in der Schweiz haben sie zwar wirklich Rechtsverkehr, allerdings nur die Autos. Züge fahren dort tatsächlich einmal umgedreht.